Von der Baugeschichte des neuen Gymnasiums

Aus Benes Gästebuch
Das Gymnasialgebäude an der Kupferstrasse

Von der Baugeschichte des neuen Gymnasiums

entnommen der Festschrift von 1928 Das Gymnasium Nepomucenum zu Coesfeld. 1627–1828–1928 zum 300jährigen Schuljubiläum und umgewandelt in einen Hypertext (work in progress)


Von Reg.-Baumeister a. D. Hermann Wolters, Stadtbaurat Coesfeld.
verfaßt 1928

Als vor nun einem Jahrhundert die Gebäude des früheren Nonnenklosters Marienborn vom Gymnasium in Benutzung genommen wurden, konnte der Vertreter des Provinzialschulkollegiums bei der Feier des Einzuges am 20. Oktober 1828 mit Recht sagen, daß nunmehr das Gymnasium eines der schönsten Gebäude der Stadt sein eigen nenne, ein Haus, welches zu den zweckentsprechendsten Schulgebäuden der ganzen Provinz gerechnet werden müsse. Abgesehen von dem großen Umfange der massiven und dauerhaften Gebäude, der großen Zahl der Einzelräume und der schönen aus der alten Klosterkirche geschaffenen Aula, war auch die gesamte Bauanlage in ihrer Stellung zu den benachbarten Straßen und zum Ortsbild überhaupt eine stattliche und das Ortsbild beherrschende. Von der ursprünglichen mittelalterlichen Klosteranlage Marienborn, welche entsprechend den anderen alten Klostergebäuden der Stadt im Viereck mit einem Kreuzgang um einen Binnenhof angeordnet war und von der die südliche Viereckseite mit nach Osten vorspringendem Chor die Kirche bildete, war im Jahre 1828 nicht mehr viel vorhanden.


Spätere Umbauten und die neue Kirchenanlage aus dem XVIII. Jahrhundert hatten das jetzt noch vorhandene vortreffliche Gesamtbild geschaffen. Während im langgestreckten Vordergebäude die Schulräume und — nach der Kupferstraße hin — die Aula untergebracht wurden, waren die Flügelbauten für das Direktorwohnhaus und die Lehrerwohnungen bestimmt. Im Nebengebäude an der Berkel fand die Pedellwohnung nebst den Abortanlagen Platz. Im Obergeschoß des Nebengebäudes befand sich unter anderm auch der „berühmte" Karzer.

Größere wesentliche bauliche Aenderungen sind damals bei der Einrichtung des Gymnasiums wohl nicht vorgenommen worden; es mag mit Heineren inneren Umbauten, mit der Erneuerung innerer Teile, insbesondere der Türen, welche reich im Empirestil gehalten sind und mit dem Umbau der Klosterkirche in die Aula in der Hauptsache sein Bewenden gehabt haben. In dem übernommenen Zustande sind die Gebäude jahrzehntelang vom Gymnasium benutzt worden. Erst in den siebziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts kam eine neue Turnhalle hinzu, welche auf der Südecke des Grundstücks in leider etwas geringen Abmessungen aufgeführt wurde. Gegen Schluß des Jahrhunderts machte die zunehmende Schülerzahl auch die Inanspruchnahme des bis dahin Lehrerwohnungen enthaltenden Flügels an der Kupferstraße für Schulräume erforderlich. Auch wurde die Aula späterhin durch Hinzunahme des Treppenhauses vergrößert. Im Anfang dieses Jahrhunderts wurde dann noch eine moderne Sammelheizuug eingebaut. Gleichwohl zeigte sich im Laufe der Zeit, besonders seit Beginn dieses Jahrhunderts mehr und mehr ein Verfall der alten Gebäude, den die nach alter preußischer Sparsamkeit nur spärlich fließenden Mittel für die Unterhaltung nicht aufzuhalten vermochten. Die der wachsenden Schülerzahl und den völlig veränderten Ansprüchen an die Belichtung und Einrichtung nicht mehr genügenden Schulräume, die mangelhaften Einrichtungen für einen modernen naturwissenschaftlichen Unterricht usw. machten neben dem täglich mehr empfundenen mangelhaften baulichen Zustand der Räume einen völligen Neubau des Gymnasiums erforderlich. Schon im Jahre 1912 wurde mit den Vorarbeiten und mit der Aufstellung von Entwurfskizzen begonnen. Als Grundlage der Projektierung wurde eine Zahl von 13 Klassenräumen angenommen. Hiermit hoffte man dem wachsenden Besuche der Anstalt für absehbare Zeit Rechnung zu tragen. Die Wahl des geeigneten Bauplatzes, die erste und oft schwierigste Aufgabe bei Errichtung eines größeren Neubaues, verursachte längere Vorverhandlungen. Unter anderem wurde auch das jetzige Stadthallengelände vor dem Viehtore in Erwägung gezogen. Die Schulbehörde entschied sich schließlich für das alte Grundstück des Gymnasiums an der Kupfer- und Poststraße, da die vorhandenen Hofflächen sowie der große zum Direktorwohnhause gehörende Garten ausreichendes Bauland darboten, zumal wenn noch Teile der anstoßenden, in den Garten vorspringenden alten Gebäudeflügel abgebrochen wurden. Auch konnte der Schulbetrieb im alten Gebäude während der Bauzeit aufrecht erhalten werden. Zudem war dort eine Turnhalle schon vorhanden, während der erforderliche Schulhof nach Fertigstellung des Neubaues und nach Abbruch des alten Gymnasiums genügend groß blieb, um auch noch an der Ecke des Grundstückes gegenüber der Einmündung der Letterstraße für ein neues Direktorwohnhaus nebst Garten den erforderlichen Grund und Boden hergeben zu können. Mitbestimmend war zweifellos auch die zentrale und doch ruhige Lage, wenn, wie geplant, der Hauptklassenflügel zur ruhigen Poststraße hin verlegt wurde, dann die bei den zahlreichen „Fahrschülern" sehr willkommene geringe Entfernung vom Bahnhofe und endlich die augenblickliche Kostenersparnis.

Es erübrigt sich heute zu fragen, ob der Entschluß der richtige war. Die Kosten eines neuen Bauplatzes und einer neuen Turnhalle, wenn eine solche überhaupt neu errichtet werden mußte, wären zweifellos durch Veräußerung des alten Platzes gedeckt worden. Ob es aber auch dann möglich gewesen wäre, das alte Gymnasium mit seinem schönen, jedem Coesfelder und besonders aber jedem früheren Coesfelder Gymnasiasten liebgewordenen, altvertrauten Stadtbild auch für die Zukunft zu erhalten, erscheint doch nicht sicher. Nach der Entscheidung über den zu wählenden Bauplatz gingen die weiteren Entwurfsarbeiten, welche in den Händen des Königlichen Baurats Adalbert Schultz lagen, schnell vonstatten. Die Baupläne waren im Frühjahr 1914, nachdem noch verschiedene zweckmäßige Aenderungsvorschläge des damaligen Direktors Dr. Bödeker Berücksichtigung gefunden hatten, soweit fertiggestellt, daß bald darauf mit der Ausschreibung der Bauarbeiten begonnen werden konnte.

Der Bauplan sah in einem dreigeschossigen aus zwei im rechten Winkel zu einanderliegenden Flügelbauten bestehenden Hauptgebäude 13 Schulklassen vor; außerdem wurden alle Anforderungen, welche an eine neuzeitliche höhere Schule zu stellen sind, voll und ganz berücksichtigt. Der Hauptflügel wurde in großem Abstande von der Kupferstraße parallel zu dieser geplant und rechtwinklig zu diesem längs der Poststraße der eigentliche Klassenflügel mit der Hausmeisterwohnung unmittelbar an der Berkel. Der Abstand dieses Flügels von der Poststraße ist leider etwas zu gering. Im Hauptflügel sind außer der geräumigen Halle des Haupttreppenhauses das Direktor- und Konferenzzimmer, die Lehrmittelräume, die Bibliothek sowie die Räume für den naturwissenschaftlichen Unterricht untergebracht. Ferner liegen hier der Zeichensaal, der Gesangsaal und die Aula sowie 4 Klassenzimmer. Im Klassenflügel an der Poststraße, an den nach Nordwesten die Hausmeisterwohnung und nach Nordosten hin die mit Spülung versehene Abortanlage stößt, befinden sich in 3 Geschossen 9 Klassenräume sowie das Nebentreppenhaus. Die zunächst ausgeschriebenen Erd-, Maurer-, Eisenbeton- und Zimmerarbeiten wurden an die Firma Th. & C. Wolters in Coesfeld vergeben; aber auch die meisten anderen Arbeiten wurden an heimische Handwerker übertragen.

Vor Beginn mit den Bauarbeiten mußte ein Teil des alten Direktorwohnhauses, sowie die Hälfte des hinteren an der Kupferstraße in den Garten und Hof vorspringenden Flügels abgerissen werden. Bei dem Abbruch des letzteren wurden Teile des aus dem Mittelalter stammenden Kreuzganges des alten Klosters Marienborn freigelegt. Ehe der erste Spatenstich zum Neubau getan wurde, brach der Weltkrieg aus, so daß die gesamte Bauzeit des Gymnasiums in die Kriegszeit fällt. Anfangs konnten die Bauarbeiten, wenn auch langsamer als gewöhnlich, so doch unbehindert vor sich gehen, so daß im Herbst 1915 das Dach gerichtet werden konnte. Der innere Ausbau aber verzögerte sich durch die Hemmnisse, die der Krieg ausübte, immer mehr. Dazu kam noch, daß der örtliche Bauleiter, Regierungsbaumeister Thomas, im Frühjahr 1916 ins Feld rücken mußte, wo er nach nicht langer Zeit den Heldentod starb. An seiner Stelle wurde, da dem Staate infolge des den letzten Mann fordernden Krieges eigene Baubeamten kaum mehr zur Verfügung standen, mit Genehmigung der Stadt der Schreiber dieser Zeilen zum örtlichen Bauleiter bestellt. Die Fertigstellung der restlichen Ausbauarbeiten, die Beschaffung des Inventars, die äußeren Arbeiten, welche letztere noch den Abbruch des Restes des Wohnungsflügels erforderten, nahmen noch längere Zeit in Anspruch. Im Herbst 1917 endlich, am 11. September, wurde der Neubau, dessen Baukosten einschließlich des neuen Inventars insgesamt etwa 270 000 Mark betragen haben, an die Schulverwaltung übergeben, so daß in den darauffolgenden Tagen der Umzug erfolgen konnte, welcher größtenteils durch die Schüler selbst vorgenommen wurde. Bei der Neueinrichtung der naturwissenschaftlichen Räume und Sammlungen war der verstorbene Professor Hüpper und bei der Einräumung und Neuordnung der wertvollen und umfangreichen Schulbibliothek der Oberstudienrat Dr. von Hammel in hervorragendem Maße tätig. Von einer größeren Einweihungsfeier wurde wegen der schweren Kriegszeiten Abstand genommen, zumal auch die innere Ausstattung der Aula noch unvollendet war. Erst im Herbst 1918 wurde auch die Aula, deren schöne innere Ausmalung die Firma Athmer in Coesfeld ausführte, fertig und mit einer bescheidenen Schulfeier am 21. Oktober in Benutzung genommen.

Das neue Gymnasium, geplant in der Friedenszeit und in der Kriegszeit gebaut, steht am Ausgange einer alten und an der Schwelle einer neuen Zeit. Es lehnt sich in der äußeren architektonischen Gestaltung an die Formen der heimischen Spätbarockzeit an. Während die Außenflächen in Ziegelrohbau gehalten sind unter Benutzung des altbewährten heimischen Ziegelsteins in besandeter Form, wurde für die Architekturteile an den Fensterumrahmungen und Portalen und Giebeln rheinischer Tuffstein verwandt. Die fein empfundene Gliederung dieser Werksteinteile, insbesondere des großen zur Kupferstraße gewendeten Giebels sowie die architektonische Ausbildung der Halle und Aula sind in erster Linie das Werk des leider zu früh dahingeschiedenen Regierungsbaumeisters Thomas. Im obersten Teile des Hauptgiebels hatte er das Wappen der Stadt Coesfeld vorgesehen; doch scheint das in der Heraldik sonst nicht ungewöhnliche Wappentier Anstoß erregt zu haben, da das Wappen nicht ausgeführt worden ist. Die Gesamtwirkung des Neubaues, der besonders in den wohlabgewogenen Verhältnissen der Hauptfront einen vornehmen Eindruck macht, kann aber erst voll zur Geltung kommen, wenn das alte Gymnasium beseitigt ist. Dem ursprünglichen Plane entsprechend hätte sofort nach Bezug des Neubaues der alte Bau abgerissen werden müssen, um einerseits für einen größeren Schulhof Platz zu schaffen und dann auch für das geplante neue Direktorwohnhaus nebst Garten Raum zu gewinnen. Die Not der Zeit aber entschied anders. Nach dem Kriege war in der Stadt Coesfeld eine nie geahnte äußerst drückende Wohnungsnot ausgebrochen, die auch heute noch nicht behoben ist, so daß jeder einigermaßen geeignete überdachte Raum in der Stadt für Wohnungen in Anspruch genommen werden mußte. Um das in Coesfeld neu eingerichtete Finanzamt provisorisch unterzubringen, mußte daher das alte Gymnasium in Anspruch genommen werden. Das fehlende Direktorwohnhaus wurde dann vorübergehend im alten Aulaflügel durch Umbau geschaffen. Der Verfall der alten Räume schritt aber im Laufe der letzten Jahre derart fort, daß das Reich von der Erwerbung des alten Gymnasiums für die Zwecke des Finanzamtes absah und die Errichtung eines neuen Finanzamtes beschloß, dessen Neubau nunmehr gesichert ist und noch in diesem Jahre in Angriff genommen wird.

Die letzten Jahre haben aber außerdem eine ungeahnte Zunahme der Schülerzahl des Gymnasiums gebracht, so daß die vorhandenen 13 Klassen des Neubaues bei weitem nicht mehr genügen. Nochmals mußte das alte Gymnasium aushelfen. Nachdem die provisorische Direktorwohnung im Aulaflügel durch Versetzung des damaligen Direktors Dr. Themann frei geworden war, wurden hier einige Klassenräume eingerichtet, um für die im Neubau nicht unterzubringenden Doppelklassen Platz zu schaffen. Dauernde Abhilfe kann aber, wenn der zeitige starke Besuch der Anstalt anhält, nur durch Erweiterung des neuen Gymnasiums geschaffen werden. Sobald das Finanzamt fertig gestellt sein wird, was für Ende des kommenden Jahres bestimmt erwartet werden kann, wird der Abbruch des alten Gymnasiums erfolgen können; dann steht der Erweiterung des neuen durch Verlängerung des Hauptflügels nach Nordosten nichts mehr im Wege, Für ein neues Direktorwohnhaus bleibt dann allerdings kein Platz mehr. Es ist deshalb geplant, dieses an anderer Stelle der Stadt zu errichten. Die Erweiterung des neuen Gymnasiums durch Verlängerung des Hauptflügels wird die Wirkung der gesamten Baugruppe zweifellos noch heben, sodaß der heimatliebende Coesfelder dann für den Verlust des altvertrauten Bildes des alten Gymnasiums wohl voll entschädigt werden wird.